Krankheit



  • Wie alles begann
  • Carpe Diem
  • Finale...
  • Patientenverfügung














  • Wie alles begann
    zum Anfang

    Es war an einem Spätsommernachmittag, als ich beschloss, nochmal zu meinem Kumpel Uwe zu fahren. Die schönen Tage waren gezählt, und ich musste das Wetter unbedingt ausnutzen. Also schwang ich mich auf meine Karre und machte mich auf den Weg zu Eiche. Ich genoss es, wie die Strasse unter mir wegfloss, und viel zu schnell war ich am Ziel. Als ich die Treppe des alten Bauernhauses emporstieg, schlug mir ein angenehmer altbekannter Geruch entgegen. Ich trat in die Küche und Eiche und ein gemeinsamer Bekannter saßen am Tisch, tranken Tee und waren dabei, eine fette Tüte zu rauchen. Wie das so ist, wenn man mit guten Freunden in trauter Runde sitzt und ein gutes Gras raucht, kommt man unweigerlich ins Diskutieren und Philosophieren. Wir redeten über Gott und die Welt und über die therapeutische Wirkung von Canabis...Plötzlich fragte mich unser Freund "Sag mal Frank, warum zuckt denn Dein Oberarm immer so komisch? Ich schau da die ganze Zeit hin, und Dein Arm ist ständig am Zucken. Machst Du das mit Absicht?" "Ja, ist mir auch schon aufgefallen, aber solangs nicht wehtut solls ruhig zucken." Er ließ mir keine Ruhe und sagte, "Man Alter, ich würde da mal zum Doc gehen."...

    Ich liege im Bett und höre in meinen Körper hinein. Das nervige Zucken in meinen Armen lässt mich nicht schlafen. Je mehr ich mich darauf konzentriere und mich beobachte, umso stärker scheint es zu werden. Ich denke mir, 'Was ist das nur für eine Scheisse?' Vielleicht sollte ich doch mal zum Arzt gehen. Gegen 10 Uhr stehe ich auf, habe noch voll die Gasmaske auf. Ich nehme meine Hanteln und versuche, ein bisschen zu trainieren und dabei munter zu werden. Die Übungen mit dem Eisen fallen ungewöhnlich schwer. Ich versuche es mit Liegestützen. Das Ergebnis ist genauso deprimierend. Ich denke mir, 'Man das kann doch noch nicht das Alter sein.'

    Dixie und Peter Paul sind gekommen, um mir beim Möbelschleppen zu helfen. Wir Drei wuchten Schränke und Kartons mit Büchern in den vierten Stock. Ich fühle mich eigentlich ganz toll, bloss meine Hände gehen immer gegen meinen Willen auf, und ich muss deshalb immer öfter meine Last auf die Treppe setzen. Ich denke bei mir, 'Es wird Zeit, dass ich aufhöre zu rauchen und etwas mehr Sport treibe.' und komme mir vor, wie ein Weichei.

    Ich habe beschlossen, mir einen Termin bei einem Neurologen zu besorgen. Mache ich auch und er untersucht mich. Ich werde verdrahtet und verkabelt, bekomme Nadeln in meine Muskeln gestochen und es wird Strom hindurchgeleitet, um wie er sagt, meine Nervenleitgeschwindigkeit und meine Reflexe zu messen. Die Prozedur ist beendet und er sagt zu mir "Ich muss Sie einweisen in eine neurologische Klinik. Es sind umfangreichere Tests notwendig, und das kann ich hier nicht machen." Mir ist irgendwie mulmig und ich sage "Ok" und gehe nach Hause. In einer Woche werde ich mehr wissen, denn da habe ich einen Termin in der Landesfachnervenklinik in Mühlhausen.

    Ich bin auf dem Weg nach Mühlhausen. Es ist Anfang Februar. Die Sonne scheint, aber es ist saukalt. Aus dem Autoradio klingen die Doors, und ich bin gut drauf. Dort angekommen, frage ich mich durch und ein sympathischer junger Arzt empfängt mich. Er will klarmachen, dass ich eine Woche stationär hierbleiben muss, und ich erkläre ihm, dass er das vergessen kann. Wir einigen uns darauf, dass ich jeden Morgen zu den anstehenden Untersuchungen anreise. Also muss ich nun von Montag bis Freitag jeden Tag hierherkommen. Immer noch besser, als mit fünf wimmernden alten Säcken die Nacht in einem Zimmer zu verbringen und zuzuhören, wie diese im 3/4 Takt furzen. Um die Sache abzukürzen, ich werde auf alle erdenkliche Art und Weise untersucht. Zwischen den Tests gehe ich auf dem Gelände spazieren und betrachte mir andere Patienten. Das Repertoire reicht vom Serienvergewaltiger, der mit anderen seines Schlages hinter einem hohen Zaun Ball spielt über Alkoholkranke bis zu bedauernswerten Menschen, die sich an Krücken schleppen oder im Rollstuhl geschoben werden. Ich denke mir 'Hoffentlich ist die Woche bald rum, die Atmosphäre hier zieht einen voll runter.'

    Heute ist mein letzter Untersuchungstag, und ich werde erfahren, was mir fehlt. Ich sitze eine halbe Stunde vor dem Zimmer des Chefarztes und warte, dass ich endlich hereingerufen werde. Es ist soweit, die Tür ist auf und er sagt "Herr Kammacher, bitte kommen Sie herein." Es ist der 14. Februar 2002, Valentinstag. Ich sitze ihm gegenüber, und er redet ewig um den heissen Brei herum. "Sie haben eine ernstzunehmede neurologische Erkrankung, laber, laber, laber..." Ich kapiere nichts und gehe in die Offensive. "Wie lange hab ich noch?" kommt es mir halb im Spass über die Lippen. Er runzelt die Stirn und fragt "Sie wollen die Wahrheit?" Ich nicke nur. "Naja, die Verläufe von ALS sind sehr unterschiedlich. Die Statistik sagt, 50% der Patienten überleben bis zwei Jahre, weitere 20% bis drei Jahre, 20% fünf Jahre und 10% bis zehn Jahre." Ich sitze da, schau ihn an und das eben Gesagte ist noch gar nicht bei mir angekommen. "Was ist denn ALS?" "ALS heisst Amyotrophe Lateral Sklerose und bedeutet, dass Ihre motorischen Nervenzellen aus unbekannten Gründen sterben und somit Ihre gesamte Muskulatur vollkommen degeneriert." Meine Zunge ist so trocken wie die Wünste Gobi, und ich verlasse das Chefarztzimmer. Horrortrip ist angesagt. Bilder hetzen durch mein Gehirn, die ich hier nicht näher beschreiben will. Ich schiebe erstmal alles von mir und versuche, auf andere Gedanken zu kommen.

    Carpe Diem
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    Nun ist eine Zeit vergangen. Ich habe im Internet gestöbert und mir alle Seiten über ALS reingezogen. Ich bin zu dem Schluss gekommen, egal, ob ich mich auf den Boden werfe und rumschreie oder grüble, es ändert nichts an den Tatsachen. Und die Tatsachen sind so, dass ich in nicht allzu langer Zeit tot sein werde. Aber bis dahin ist ja noch ein bisschen Zeit, und diese Zeit habe ich vor, positiv zu nutzen. Mit Eiche habe ich gesprochen, ob er Bock hat mit mir nach Thailand zu reisen. Er war natürlich sofort dabei. Also waren wir vier Wochen in Thailand und haben es uns richtig gutgehen lassen. Zuerst drei Tage Bangkok, dann mit dem Auto bis nach Krabi, von da aus nach Suratani, mit dem Schiff nach Koh Pa Nang zur Full Moon Party, dann nach Koh Samui, von da aus nach Koh Pi Pi und dann mit dem Zug zurück nach Bangkok. Wer Thailand kennt, weiss, wovon ich rede. Dann ein paar Wochen zu Hause. Maike hatte mir einen Termin in der Uniklink Frankfurt, neurologische Spezialsprechstunde organisiert.Ich werde wieder untersucht. Das Resultat ist das gleiche: ALS. Es wird mir ein Arzt im Klinikum Grosshadern in München empfohlen, und die freundlichen Ärzte in Frankfurt machen mir auch gleich einen Termin mit dem ALS Papst Dr. Borasio.

    In Eisenach geht mir alles furchtbar auf die Eier, vor allem meine Ehefrau, die sich nicht gerade loyal verhält, um es mal diplomatisch zu umschreiben. Ich beschließe, meinen Freund Dix in Portugal zu besuchen. Thilo, ein Freund aus der Nähe von Aschaffenburg fährt mit seinem Sohn auch dahin, und ich hänge mich dran. Thilo ist froh darüber, dass er nicht die ganze Strecke alleine fahren muss. Wir verbringen zwei schöne Wochen in Figueira da Foz, mit Angeln, Saufen, Kartenspielen, Grillen und was man in Portugal so macht. Wieder in Deutschland angekommen, verbringe ich noch eine angenehme Woche in Aschaffenburg bei meinen Söhnen. Mein Motorrad steht zum Glück bei Maikes Freund Alex, und ich fahre mit Benni an meinem Geburtstag zu Dix' Schwägerin Peggy, um ihr Meersalz, Bohnen und Tomaten zu liefern. Wie der Zufall es will, hat der Vater von Peggy's Freund Ralph auch am 7. Juli Geburtstag und wir beide werden eingeladen mitzufeiern. Ralph ist eigentlich der falsche Name, er sollte eher Luculus heißen, denn er ist ein begeisterter und genialer Koch. Bei dieser Gelegenheit lerne ich auch Peggy kennen. Dieser Name wird auf meiner Homepage noch sehr oft vorkommen, denn wir sollen dicke Freunde werden und noch so einiges zusammen erleben.

    Benni und ich haben beschlossen, zusammen nach Kuba zu fliegen. Er hat Ferien und ich denke mir, zwei Wochen mit ihm auf der Insel wird uns noch enger zusammenwachsen lassen. Kuba ist sauteuer, nichts funktioniert, es gibt auch nichts zu kaufen, aber die Menschen sind supergenial, das heisst, freundlich, hilfsbereit, neugierig und gebildet. Da wir nur zwei Wochen Zeit haben, bereisen wir nur Kubas Süden, also Holguin, Santiago, Baracoa...Ich lasse mir den guten kubanischen Rum und die Zigarren schmecken.

    Wenn ich unterwegs bin, gelingt es mir wunderbar, meine Situation zu verdrängen und manchmal sogar zu vergessen. Die Krankheit ist dann ganz weit weg und erscheint vollkommen bedeutungslos. Trotzdem mache ich kein Tabuthema daraus. In der Zwischenzeit wissen fast alle meine Freunde und Angehörigen über meine Erkrankung bescheid. Obwohl die meisten wahrscheinlich nicht wissen, was sie bedeuted. Ich denke, ich komme in der Zwischenzeit ganz gut klar und kann mit ALS leben, ohne zu verzweifeln.

    Wieder zu Hause mache ich mich auf den Weg nach München. Ich habe einen Termin bei Dr. Borasio. Ich fahre zusammen mit Paul in seinem uralten verbeulten VW-Bus. In München empfiehlt man mir, das Medikament Rilutek einzunehmen. Es soll die Überlebenszeit durchschnittlich um 3 - 4 Monate verlängern. Ausserdem bekomme ich von einer sehr sympathischen Ärztin noch den Tip, ich solle Vitamin E und Vitamin C zu mir nehmen. Dann bekomme ich noch Nervenwasser aus der Wirbelsäule gezogen. Deshalb habe ich auf der Heimfahrt auch mächtige Rückenschmerzen.

    Im Laufe der Zeit habe ich noch mehrere ALS Patienten kennengelernt. Natürlich hat jeder andere Geheimrezepte, weiss jeder andere tolle Webseiten im Internet und hat jeder andere Vermutungen über die Entstehung der Krankheit. Teilweise lasse ich mich von ihrer Geschäftigkeit anstecken, aber ich merke, je mehr ich mich mit der Materie beschäftige, umso mehr zieht mich das runter. Also lasse ich es irgendwann. Was nicht bedeuten soll, dass ich den Kopf in den Sand stecke. Ich suche schon nach Wegen, die das Fortschreiten der Krankheit verlangsamen könnten.

    Zum Beispiel Ayuveda. Da hatte ich letztens einen tollen Dokumentarfilm im Fernsehen gesehen. Ayuveda Ärzte verbrachten dort in Indien und Sri Lanka wahre Wunderdinge. Ich hatte natürlich überhaupt keine Ahnung von dem Ganzen, aber man kann sich ja kundig machen. Und das tat ich dann auch. So nach drei, vier Wochen war ich fit und laberte jedem die Ohren voll Ayuveda hier, Ayuveda da, aber hinfahren ist immer besser. Nun brauchte ich nur noch einen Reisebegleiter. Meine beste Freundin Peggy wäre zu gerne mitgekommen, aber der Mensch muss ja im Normalfall auch etwas arbeiten, und deshalb war es Essig mit Indien für die liebe Peggy. Da fiel mir Norbi ein. Der war doch bestimmt irgendwie rumzukriegen. Lange Rede, kurzer Sinn, wir beide flogen Anfang Februar für vier Wochen in einen Ashram in der Nähe von Bombay, um uns therapieren zu lassen.



    Es war schon alles etwas merkwürdig für uns Mitteleuropäer, und wir beide wurden dort als Exoten angesehen. Die vier Wochen sind uns beiden recht gut bekommen, aber es war dann auch genug mit Meditieren, Yoga, Massagen, Einläufen und Diäten. Dann gings noch nach Goa, genauer gesagt Palolem. Zwei Wochen absolute Entspannung, tolles indisches Essen, nette Leute, blauer Himmel und traumhafte Strände. Ob die Ayuveda Kur nun mein Leben etwas verlängert hat, kann ich nicht sagen. Auf jeden Fall hat es meinen Horizont erweitert, und ich habe ein kleines Stückchen Indien und indische Kultur kennengelernt. Also das Resultat der ganzen Aktion für Norbi und mich, Indien war ein absoluter Volltreffer.

    Da ich an einer Studie für ein neues Medikament gegen ALS an der Martin Luther Universität in Halle teinehmen möchte, bin ich wieder in Germany. Es handelt sich um eine Doppeltblindstudie eines japanischen Pharmakonzerns (ONO), in die ich ein Quentchen Hoffnung setze. Ich muss jetzt in Abständen von vier Wochen nach Halle fahren. Dort wird meine Muskulatur gemessen, werden Körperflüssigkeiten von mir entnommen, und ich bekomme das Versuchsmedikament ausgehändigt. Meine älteste Tochter Katrin wohnt und studiert in Halle. Von daher ist es toll, da wir uns sonst recht selten gesehen haben. Auch habe ich die Gelegenheit, mal wieder mit Ute, ihrer Mutter, über alte Zeiten zu reden.

    Peggy ist urlaubreif, wie sie mir am Telefon sagte. Und sie fragt, ob wir nicht nach Portugal zu Dix und Margitta fahren wollen. "Portugal" sage ich "nö, da will ich erst im Juli hin." Aber es gibt doch noch viele andere schöne Ziele auf der Welt. Wir einigen uns darauf, dass jeder für sich überlegt, und wir unsere Vorschläge dann diskutieren. Kurz und gut, wir wählen Südostasien, und zwar Indonesien. Und wisst Ihr auch warum? Peggy war da schon mal mit ihrer Freundin Wanda und kennt einen sehr netten Bürgermeister in Nordsumatra. Sie hat ihn angerufen, fragte: "Kann ich kommen und noch einen Freund mitbringen?" Alle schrien "Ja, juchhu" und die Sache war in Tüten. Wen es interessiert, was in Indonesien und Malaysia so abging, der kann ja mal in unser Reisetagebuch schauen.

    Die Studie in Halle breche ich nach ein paar Monaten ab. Ich habe das Gefühl, dass sich mein Zustand schneller verschlechtert. Ich habe mittlerweile 15 kg abgenommen, und die ALS hat - man kann es deutlich sehen - enorm Besitz von mir ergriffen. Meine Muskulatur ist stark verfallen, meine Stimme wirkt verwaschen, und ich verschlucke mich ständig. Komischerweise - ich kann es selber kaum glauben - ist meine Stimmung super. Ich habe immer gedacht, wenn man unter solch extremen Symptomen leidet, ist man auch stimmungsmäßig am Boden. Aber nichts da, mein Gemüt ist weiterhin sonnig. Knapp 1 1/2 Jahre sind seit Diagnosestellung nun vergangen, und ich lebe noch. Eine Vielfalt von Gefühlen habe ich in diesen 1 1/2 Jahren erfahren. Zum Beispiel denke ich, ich bin als Mensch gewachsen. Vielleicht liegt das daran, dass man in einem solchen Zustand nicht mehr so dem schnöden Mamon hinterherhetzt und sich auf die wichtigen Dinge des Lebens konzentriert. Man hat auch das Gefühl, 'Was kann mir schon passieren?' Als ich 1984 meinen Antrag auf Ausreise aus der DDR gestellt habe, hatte ich genau dasselbe Gefühl. Irgendwie hat ja ALS auch was mit Ausreise zu tun, bloss, wohin die Reise geht, weiss man in diesem Fall nicht so genau.

    Es ist Ende Juni. Dix, mein Freund in Portugal, hat mich eingeladen, und ich freue mich sehr auf den alten Meckerfritzen. Da ich schon ziemlich klapprig auf den Stelzen bin, überlege ich kurze Zeit, ob ich die Reise alleine noch wagen kann. Aber Peggy bringt mich an den Frankfurter Flughafen und holt mich auch wieder ab, und in Lissabon warten Dix und Miguel, um mich abzuholen. Bloss die Zwischenlandung in Madrid musste ich irgendwie auf die Reihe kriegen. Meine Eltern zeigen mir einen Vogel "Du kannst doch in Deinem Zustand nicht mehr verreisen!" Und gerade das motiviert mich. Und irgendwann sitze ich bei Dix und Margitta und werde total verwöhnt. Sie lesen mir jeden Wunsch von den Lippen ab und kümmern sich rührend um mich. Man glaubt es kaum, Dix rasiert mich sogar. Er nimmt eine Woche unbezahlten Urlaub und wir fahren in die Sierra de Estrella. Wir kommen auf den höchsten Berg Portugals, den Torre, kehren in einem einfachen Berggasthof ein, besaufen uns mit leckerem Landwein und dem genialen Superbock und reden viel über alte Zeiten, über uns und über Gott und die Welt. Wir streifen durch Coimbra und schlürfen an jeder Ecke einen leckeren portugiesischen Kaffee. Roberto, Miguel, Margitta, Carla, Dix und ich besuchen eine Fadobar und ich bin absolut begeistert von dem einmaligen Flair des Augenblicks. Auch meinen 42. Geburtstag feiere ich mit meinen portugiesischen Freunden. Den ganzen Tag klingelt das Telefon, und ich nehme Glückwünsche entgegen.


    Dix will mich überreden, den Rest des Sommers in Portugal zu bleiben. Leider geht das nicht, denn Richard und Benni haben Sommerferien und wir wollen überlegen, ob wir zusammen irgendwas unternehmen können. Also verabschiede ich mich von meinen Freunden, atme noch einmal den Duft der Eukalyptusbäume ein, und fliege zurück nach Frankfurt. Die liebe Simone hat mir wieder tonnenweise Vitamine und Ernährungsergänzungsprodukte besorgt. Mein Gott, wenn ich das alles bezahlen müsste, wäre meine erbärmliche Rente schon dadurch zum Teufel.

    Da Richard schwer von Amor`s Pfeil getroffen ist, und mit seiner Freundin Urlaub in Griechenland macht und meine Tochter Katrin aus irgendwelchen Gründen keine Zeit hat, überlegen Benni und ich, was wir tun können. Kurzfristig buchen wir einen Flug nach Thailand. Benni ist ganz aus dem Häuschen, denn in drei Tagen geht`s schon los. Als wir in Phuket landen, gießt es wie aus Eimern, denn wir haben Regenzeit. Phuket ist nichts für uns und wir setzen über nach Ko Phi Phi. Auf dem Kahn fährt eine Gruppe Japaner oder Chinesen mit. Die vertragen wohl den Seegang nicht so besonders und kotzen deshalb um die Wette. Das ganze Boot riecht etwas säuerlich, aber uns geht es prima, zumal nun auch die Sonne hervorkommt.

    Benni nimmt seine Verantwortung mir gegenüber sehr ernst, er ist mein Dolmetscher, mein Leibwächter, mein Mädchen für alles. Er hat eine Wahnsinnsgeduld und kommt auch mit meinen Macken einigermaßen zurecht. Trotz meiner körperlichen Einschränkungen unternehmen wir beide sehr viel. Benni versucht sich im Thai- Boxen und Bungeespringen, außerdem schnorcheln und wandern wir jeden Tag oder lassen uns in einem Longboat in traumhafte Buchten schippern.

    Am Flughafen in Frankfurt werden wir von Maike empfangen, gleich geht das übliche Empfangsgeschnatter los, jeder kennt das doch, oder ? Thailand wird wohl meine letzte Reise dieser Art und Güte gewesen sein. Ich stelle mir die Frage: Hast du deine Zeit seit Diagnosestellung auch optimal genutzt ? Auf keinen Fall habe ich sie verschwendet und optimal ist immer relativ...

    Finale...
    zum Anfang

    ... Ich bleibe nach dem Thailandtrip noch 14 Tage in Aschaffenburg und nutze die Zeit, mit Maike einen "Friedwald" zu besichtigen. www.friedwald.de Dieser Friedwald befindet sich bei Michelstadt im Odenwald und ist einer von 2 Friedwäldern in Deutschland. Ich mache Nägel mit Köpfen und erwerbe mir einen Gemeinschaftsbaum (Buche), als letzte Ruhestätte. Der Bestattungsunternehmer grinst, als ich mich mit den Worten "bis bald" von ihm verabschiede. Maike findet das gar nicht lustig, aber diese Form der Bestattung ist okay für sie.

    Als ich wieder in Eisenach bin, setze ich mich mit "Dignitas" www.dignitas.ch in Verbindung. Dignitas ermöglicht Menschen in meiner Situation ein würdiges Sterben. Ich trete Dignitas bei, entrichte den Jahresbeitrag und die Aufnahmegebühr. Nach zirka zwei Wochen erhalte ich meine Patientenverfügung. Ein Gefühl der Erleichterung bemächtigt sich meiner, ab jetzt habe ich alles, was mit meinem Sterben zu tun hat, selbst in der Hand. Ein sehr gutes Gefühl!

    Patientenverfügung
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    Ich, die vorbezeichnete Person, verfüge hiermit, was folgt:


    A.  Ich bin im Vollbesitz meiner Urteilsfähigkeit.
    B.  Für den Fall, dass ich künftig nicht mehr entscheidungsfähig sein sollte,
         gelten meine nachstehenden Anweisungen.
                 Sind meine wesentlichen Funktionen des Lebens dermassen schwer
                 in Mitleidenschaft gezogen, dass nach menschlichem Ermessen eine
                 Besserung ausgeschlossen werden kann, und muss angenommen
                 werden, dass dieser Zustand ohne weitere medizinische Eingriffe
                 direkt zum Tode führt, verlange ich:

                      a) Alle lebensverlängernden Massnahmen, wie etwa Verlegung auf
                          die Intensivstation, Wiederbelebung, künstliche Beatmung,
                          künstliche Ernährung, Bluttransfusionen, Zufuhr von Flüssigkei-
                          ten durch Infusionen oder Sonden, pharmazeutische Behand-
                          lungen mit Antibiotika, Chemotherapeutika, sowie sämtliche
                          belastenden Eingriffe zu Diagnose- oder Therapiezwecken
                          sind zu untelassen.
    Ich wähle diesen Abschnitt für meine Patientenverfügung
                      b) Jegliche medizinische-technische Hilfe ist zu beschränken auf
                          die optimale Linderung von Schmerzen und Beschwerden.
                          Dadurch soll erreicht werden, dass die mir verbliebene
                          Lebensqualität auf einem möglichst hohen Stand
                          gehalten werden kann.
    Ich wähle diesen Abschnitt für meine Patientenverfügung
                      c) Sämtliche Medikamente gegen Schmerzen und Beschwerden
                          sind so zu dosiren, dass mein subjektives Befinden möglichst
                          gut ist, auch wenn sich dadurch meine Lebensdauer verkürzen
                          kann.
    Ich wähle diesen Abschnitt für meine Patientenverfügung
                      d) Sollte mein hier zum Ausdruck gebrachter Wille durch den be-
                          handelnden Arzt nicht vollkommen respektiert werden können
                          ist die Verantwortung für meine Behandlung auf einen Arzt zu
                          übertragen, welcher DIGNITAS nahesteht
    Ich wähle diesen Abschnitt für meine Patientenverfügung
                      e) Ich will nicht, dass ich zu Lebzeiten als Forschungsobjekt
                          verwendet werde.
    Ich wähle diesen Abschnitt für meine Patientenverfügung
                      f) Ich will nicht, dass mein Körper nach meinem Tode zu
                          Forschungszwecken verwendet wird.
    Ich wähle diesen Abschnitt für meine Patientenverfügung
                      g) Ich will nicht, dass meine Organe nach meinem klinischen Tode
                           für andere Menschen verwendet werden.
    Ich wähle diesen Abschnitt für meine Patientenverfügung
    Auftrag und Vollmacht

    Hiermit beauftrage ich "DIGNITAS - die Menschenwürdig leben - Menschenwürdig
    sterben" damit, meine Interessen zu wahren, falls irgend ein Punkt dieser vorstehen-
    den Verfügung nicht respektiert werden sollte. Ich erteile "DIGNITAS -
    die Menschenwürdig leben - Menschenwürdig sterben" dazu alle erfordetlichen
    Vollmachten mit dem Recht auf Ernennung von Stellvertretern.
    Gleichzeitig entbinde ich meine Ärzte und die übrigen zur Wahrung des ärztlichen
    Geheimnisses verpflichteten Personen gegenüber "DIGNITAS - die Menschenwürdig
    leben - Menschenwürdig sterben" sowie gegenüber den in dieser Verfügung
    genannten mir nahestehenden Personen vom Berufsgeheimnis.




    Frank Kammacher
    Kasseler Str. 43
    99817 Eisenach

    DIGNITAS
    Postfach 9

    CH-8127 Forch-Zürich

    Eisenach, 02-09-03



    Sehr geehrte damen und Herren,

    bitte teilen Sie mir die Adresse eines Ihnen nahe stehenden Bestattungsinstitutes mit.
    Ich möchte mich vorab über die Kosten meiner Einäscherung und die Verschickung meiner Urne zu meiner Grabstätte informieren.

    Danke für Ihre Mühe.

    Mit freundlichen Grüßen

    Frank Kammacher




    Frank Kammacher
    Kasseler Str. 43
    99817 Eisenach

    DIGNITAS
    Postfach 9

    CH-8127 Forch-Zürich

    Eisenach, 02-09-03



    Sehr geehrte Damen und Herren,

    am 14.02.2002 bekam ich in der neurologischen Landesklinik Mühlhausen in Thüringen die Diagnose Amyotrophe Lateralsklerose.
    Der Verlauf dieser Krankheit ist mir bekannt.
    Zur Zeit befinde ich mich in einem Zustand, in dem ich mich verbal kaum noch verständigen kann und meine Mobilität und Bewegungsfähigkeit sehr eingeschränkt ist.
    Sie und ich auch wissen, dass eine positive Prognose bei dieser Krankheit nicht zu erwarten ist.
    Hiemit ersuche ich Sie um eine Freitodbegleitung.
    Dieses Vorhaben habe ich mir reiflich überlegt und es ist mein ausdrücklicher Wunsch, dies zu tun.
    In der Hoffnung auf Ihr Verständnis, verbleibe ich bis auf weiteres

    Frank Kammacher